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Stiller Schrei nach Liebe – auch Gebäude haben Bedürfnisse

BILD HEDGEHOG94 – STOCK.ADOBE.COM
14.09.2023 Stefan Aeschi Dipl. Architekt ETH/SIA DAS Wirtschaft FH Experte Bau- und Energietechnik beim HEV Schweiz

Ein Gebäude bedarfsgerecht zu unterhalten oder sich mit Freunden zu treffen – diese beiden Sachen haben auf den ersten Blick wenig gemeinsam. Schaut man genauer hin, lassen sich aber viele Gemeinsamkeiten finden.

Wenn wir ein Gebäude unterhalten, meinen wir damit, dass wir Gebäudeteile instand halten, instand setzen oder erneuern, bis hin zur professionellen Gebäudesanierung mittels eines langfristigen Sanierungskonzepts. Unterhalten wir uns mit Freunden – vielleicht sogar über den Gebäudeunterhalt oder einfach über Gott und die Welt –, treten wir miteinander ins Gespräch, um uns zu verstehen und auszutauschen. «Unterhalten» scheint in beiden Fällen eine sehr unterschiedliche Bedeutung zu haben. Gleichwohl spielt die Sprache auch beim Gebäudeunterhalt eine zentrale Rolle. Kleine Risse in der Fassade, abgeblätterte oder vergilbte Farbanstriche, spröde Fensterdichtungen geben zwar keine Laute von sich, gehören aber eindeutig zur Sprache eines Gebäudes, genauso wie ein tropfender Wasserhahn, verstopfte Wasserrinnen oder wacklige Scharniere. Wie wir Menschen haben auch Gebäude Bedürfnisse. Um lange zu bestehen, sehnen sie sich nach Aufmerksamkeit und Pflege – ein stiller Schrei nach Liebe sozusagen.

Die Sprache eines Gebäudes verstehen

Die Sprache eines Gebäudes wird meist im Zusammenhang mit dem Ausdruck, also dem Erscheinungsbild, in Verbindung gebracht. Der Bau tritt so in Wechselwirkung mit dem «genius loci», dem Geist des Ortes, in Dialog, genauso wie wir Menschen auch stets im Austausch miteinander und unserem Umfeld stehen. Bereits bei geringer Aufmerksamkeit unsererseits erzählt uns das Eigenheim still eine Geschichte – seine ganz eigene über das Altern. Der visuell sichtbare Alterungsprozess von Bauteilen, Installationen und Geräten buhlt förmlich um unsere Aufmerksamkeit. Wie bei uns Menschen steigt auch beim Haus mit zunehmendem Alter der Bedarf und Wunsch nach Pflege. Eine regelmässige visuelle Kontrolle hilft, Mängel zu erkennen und somit die Sprache des Gebäudes besser zu verstehen. Aufmerksames Beobachten über einen längeren Zeitraum ermöglicht es, Veränderungen über den Verlauf zu erkennen, festzuhalten und bedarfsgerechte Massnahmen zu treffen. So treten wir mit unserem Eigenheim in einen Dialog. Tipp: Warten Sie nicht zu, bis Sie vor lauter Macken, Mängeln und Schäden von Ihrem Gebäude quasi getadelt und zur Sanierung genötigt werden!

Lebenszyklus und Bedürfnisse

Der Lebenszyklus von Gebäudeteilen gibt grob an, wann Pflege, Reinigen und Richten nicht mehr zum Erhalt der Funktionstauglichkeit ausreichen und Elemente erneuert oder ganze Bauteile ersetzt werden müssen. Die Lebenszyklustabelle hilft der Eigentümerschaft beim Erstellen eines langfristigen Sanierungskonzeptes und um sinnvolle Sanierungspakete zu schnüren. Vergessen Sie dabei aber nicht Ihre eigenen Bedürfnisse und die Ihrer Mitbewohner! Unser Leben richtet sich nicht nach dem Lebenszyklus unseres Eigenheims oder einzelner Bauteile. Je nachdem, wo im Leben Sie gerade stehen, können komplett unterschiedliche Zeithorizonte aufeinanderprallen. Während es sich lohnt, den reinen Gebäudeunterhalt im Sinne der Instandhaltung regelmässig zu tätigen und sich dabei besonders auf verschleissintensive und stark exponierte Bauteile zu konzentrieren, sollten Sanierungsarbeiten immer vor dem Hintergrund der Lebensphase und der Perspektiven der Hauseigentümerschaft geplant werden. Wie wir Menschen nicht auf eine einzelne Eigenschaft hin reduziert, sondern in unserer ganzen Persönlichkeit betrachtet werden wollen, möchten auch Gebäude als Ganzes verstanden werden. Es gilt demnach, bautechnische Anforderungen mit den persönlichen Bedürfnissen und den eigenen sozio-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in einem bedarfsgerechten Sanierungskonzept zu vereinen.

Eine Entscheidungskette geht der Gebäudesanierung voraus

Die Auslöser für eine Gebäudesanierung sind vielschichtig. Neben dem Lebenszyklus des Gebäudes und den persönlichen Bedürfnissen können auch ein hoher Energieverbrauch oder neue Vorschriften im Energiebereich Beweggründe für eine Gebäudesanierung oder eine Teilsanierung sein. Sind die finanzielle Situation und die vorhandenen Ressourcen geklärt, steht eine Reihe zu treffender Entscheidungen an: Welchen Bedürfnissen soll die Sanierung gerecht werden? Welches Material ist das richtige? Welcher Energieträger soll es sein? Während viele Entscheide von der Eigentümerschaft frei gefällt werden können, werden Erneuerungs- und Sanierungsarbeiten auch von externen Faktoren wie den lokalen Klimabedingungen, der Verfügbarkeit von Materialien und von qualifizierten Arbeitskräften bestimmt. Sobald das äussere Erscheinungsbild betroffen ist, fliesst auch das gebaute Umfeld, das architektonische Orts- oder Stadtbild mit in die Entscheidungsfindung ein. Online-Tools erlauben es heute, erste grobe Richtwerte betreffend Aufwand, Kosten und Verbesserungen zu erhalten. Die Selbstreflexion über Notwendiges, Mögliches und Wünschenswertes ist die Basis, um mit Fachpersonen konstruktiv in Dialog zu treten und sich mit Bekannten, die eine Gebäudesanierung bereits hinter sich haben, auszutauschen. Im Dialog mit Fachkräften ist es wichtig, nicht nur aufmerksam zuzuhören, sondern im Prozess auch zu lernen, die richtigen Fragen zu stellen und den Mut zu haben, diese auch zu stellen. So werden Sie diesbezüglich schnell an Eigenkompetenz dazugewinnen. Es lohnt sich auch, Wunschvorstellungen räumlich und materiell auf deren Funktionstauglichkeit hin zu prüfen. Der schönste neue Bodenbelag im Badezimmer nützt Ihnen reichlich wenig, wenn das gewählte Material nicht auch der erforderlichen Rutschfestigkeit entspricht. Je früher klare Entscheidungen zu Fragen aus dem Anforderungskatalog Ihres Bauvorhabens gefällt werden, desto weniger Überraschungen und Zusatzkosten offenbaren sich Ihnen während der Ausführungsphase des Sanierungsprozesses.